Dr. Cristian Alvarado Leyton
Beziehungstransformationen von zwangsadoptierten Kindern verschwundener Gefangener in Argentinien
Angaben zur Person
Akademischer Werdegang/Berufserfahrungen
- M.A. Ethnologie 2001, Universität Hamburg (Studium der Ethnologie, Pädagogik, Neueren deutschen Literatur, Linguistik an der Universität Hamburg, Auslandssemester: Studium der Antropología Social an der Universidad de Chile, Santiago)
- 2001-2005 Mitarbeiter Johann Daniel Lawaetz-Stiftung, Hamburg
- Dr. phil. 2006 Ethnologie, Universität Hamburg
- 2007-2009 Postdoktorand am Graduiertenkolleg Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- 2011-2012 Mitarbeiter AFS Interkulturelle Begegnungen eV, Hamburg
- 2013 Mitarbeiter im EFM, Berlinale 2013
Publikationen (Auswahl)
- Allianzbeziehungen der Patenschaft. Zur zentralen Machttechnik verwandtschaftlich gestalteter Patronage von Eliten kapitalistischer Verhältnisse. Hamburg 2006
- Intendierte Machtallianzen. Lévi-Strauss’ Allianzbegriff und die Kritik „künstlicher“ Verwandtschaft. In: Anthropos 102, 2007: 169-185
- Antonyme Herrschaftsallegorien: Inkarri und Jesus. Zur postkolonialen Mythengeschichte der Patenschaftspatronage im südperuanischen Hochland. In: Historische Anthropologie 16, 2008: 167-186
- Native Anthropology. Kritische Ethnographie einer Debatte um den Zweck der Ethnologie. Berlin 2009
- Fictive Kinship. In: Harry T. Reis, Susan Sprecher (Hg.): Encyclopedia of Human Relationships. Thousand Oaks 2009: 682-684
- (mit Michael Lackner) Kultur und Rasse nach dem Nationalsozialismus. Ein Gespräch mit Michael Lackner über Hermann Baumann als akademischer Lehrer. Erlangen 2009 (unter: www.ethno-im-ns.uni-hamburg.de)
- „Writing Culture“ – in einem Aufsatzwettbewerb deutsch-argentinischer Schulen. In: C. Alvarado Leyton, Philipp Erchinger (Hg.): Identität und Unterschied. Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz. Bielefeld 2010: 243-259
- Über die Notwendigkeit weder zu vergessen noch zu verzeihen. Ein Plädoyer ad hominem. In: ders. (Hg.): Der andere 11. September. Gesellschaft und Ethik nach dem Militärputsch in Chile. Münster 2010
- Die Zukunft einer kritischen Ethnologie Lateinamerikas. Ein Literaturbericht. In: Anthropos 106, 2011: 115-133
Lehrerfahrung
- Seit 2002 Lehre an der Universität Hamburg und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg / insges. 11 Seminare (Lateinamerika-Studien, Ethnologie, Soziologie)
Forschungsprojekt:
Beziehungstransformationen von zwangsadoptierten Kindern verschwundener Gefangener in Argentinien.
Das Forschungsprojekt untersucht die Beziehungstransformationen von Individuen anhand der Erfahrungen der nietos recuperados. Sie sind die Kinder von verschwundenen politischen Gefangenen der argentinischen Militärdiktatur, die von Militär-, Polizei- oder ihnen nahestehenden Familien zwischen 1976 und 1983 illegal adoptiert wurden („angeeignet“/„apropiado“). Sie sind ca. zwischen 1975 und 1983 geboren worden, ihre Anzahl wird auf 500 Menschen geschätzt, wobei bis heute 101 lebende Kinder u. a. über genetische Tests „wiedergewonnen“ wurden („recuperado“). Es gibt aber auch Personen, die trotz Indizien von ihrem mittlerweile gesetzlich verbürgten „Recht auf Identität“ keinen Gebrauch machen, an ihrer „fiktiven“ Identität festhalten wollen und sich einer genetischen Identifizierung verweigern.
Mich interessiert nun, wie nietos/as nach der Entdeckung der gewaltsam enteigneten Identität ihre zentralen sozialen Beziehungen transformieren, sowohl die ehemals nicht-/verwandtschaftlichen Beziehungen (die zu den „illegalen“ und den „biologischen“ Verwandten) als auch die Beziehungskreise von FreundInnen und PatronInnen: Wie vollziehen sich die praktischen und semantischen Nicht-/Setzungen symmetrischer und asymmetrischer Beziehungen konkret? Welche Interessen treffen in der auch strafrechtlich relevanten Imagination von identitätsstiftenden Beziehungen aufeinander? Wie gestaltet sich das Spannungsverhältnis zwischen der positiv besetzten biologischen Rede und den sozialen Erfahrungen mit einer einst „eigenen“ Familie, die sich in einem entdeckten Gewaltkontext als „fremde“ herausstellt?
Das Projekt untersucht Beziehungstransformationen, in denen sich das Reale als Imaginäres entpuppt, Imaginäres zum Realen wird. Im Zentrum stehen einerseits die sich auftuenden sozialen Leerstellen, die in dem Prozess einer „restitución” von Identität in der Praxis ausgefüllt werden, und andererseits die Überschreibungen vorheriger Beziehungen. Ich fokussiere auf das Erzählen von Beziehungen und interessiere mich für ihre narrativ-symbolischen Manifestationen und deren Wirkungen auf Menschen, Beziehungen und Gesellschaftsverhältnisse. Insofern wird die ethnographische, relational kontextualisierende Untersuchung der Rede von nietas/os für die Beziehungsforschung allgemein relevante Einsichten erbringen.
Methodisch untersuche ich ihre Transformationspraxis in einer Feldforschung in Buenos Aires, wobei ich v. a. mit qualitativen Interviews in un- und halbstrukturierter Form und teilnehmender Beobachtung arbeite.