Jan Wolkenhauer (Stipendiat 01.08.2007 - 31.07.2010)
Senecas Schrift "Über die Wohltaten" in ihrer Entstehungszeit
Angaben zur Person
WS 1998/99 bis SS 2001 und WS 2002/03 bis SS 2005 |
Universität Freiburg, Studium der Fächer Geschichte und Latein (LA Gym) |
Anno accademico 2001/02 |
Università degli studi Roma tre, Erasmus-Programm, Studienschwerpunkt Byzantinistik |
04/2005 |
Erstes Staatsexamen |
09/2005 bis 07/2007
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Referendariat in Villingen-Schwenningen und Rottweil, Zweites Staatsexamen |
Seit 08/2007 |
Stipendiat am Graduiertenkolleg 1288 mit einer Arbeit über Senecas De beneficiis |
jan.wolkenhauer@grk-freundschaft.uni-freiburg.de
Dissertationsprojekt
Senecas De beneficiis im Zusammenhang von Funktionsverlagerungen im frühkaiserzeitlichen Benefizienwesen
Betreuer: Prof. Dr. Aloys Winterling (Berlin)
Tutor: Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander
Bei Senecas Schrift De beneficiis handelt es sich um einen umfangreichen normativen Traktat über das Erweisen, Schulden und Vergelten von Wohltaten (beneficia). Seneca geht davon aus, dass diese sozialen Praktiken von seinen Zeitgenossen nicht angemessen beherrscht werden, und er entwickelt als Leitfaden eine in der stoischen Philosophie wurzelnde Kasuistik.
Hintergrund der Schrift ist ein häufiges Versagen der Etikette in inneraristokratischen und schichtenübergreifenden Nah- und Treuverhältnissen und der offenkundige Leerlauf überkommener Handlungsweisen im Bereich des Austausches von Gefälligkeiten (kurz Benefizienwesen) in der frühen Kaiserzeit. Neben Seneca bezeugen dies vor allem Tacitus und die Satiriker. Zeitgenössisch wurden diese Erscheinungen moralisch als Hochmut (superbia) und Undank (ingratia) gedeutet. Aus heutiger Sicht lassen sie sich in Verbindung bringen mit den beträchtlichen Verwerfungen im Geflecht der Nah- und Treuverhältnisse, die der Übergang von der Adelsrepublik zur Monarchie bewirkte, und den damit zusammenhängenden Schwerpunktverlagerungen in den Funktionen des Benefizienwesens. Ehre, Macht und Reichtum waren in der Republik noch weitgehend bei denselben Personen zusammengefallen. Hinsichtlich dieser Merkmale entstanden im Umfeld des Kaisers erhebliche Statusinkongruenzen. Die Verwerfungen kollidierten fortwährend mit überkommenen Wertorientierungen, Denkmustern und Verhaltensweisen und schufen im gesellschaftlichen Verkehr Unsicherheiten in der Rollenwahrnehmung.
Senecas Schrift liest sich vordergründig wie der Versuch, die Ge- und Verbote der alten, brüchigen Etikette unter stoischen Vorzeichen zu restaurieren. Die Verankerung der Normen in der stoischen Begrifflichkeit führt aber zu Aussagen, die von der alten, von der Vätersitte (mos maiorum) verbürgten Moral her nicht zu treffen gewesen wären…
Im Rahmen dieses Dissertationsvorhabens soll danach gefragt werden, wie De beneficiis die geschilderten Verwerfungen und Funktionsverlagerungen spiegelt und welchen Ort das entworfene moralische System zwischen der traditionellen Semantik des Benefizienwesens, der aristokratischen Mentalität und den neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen des Prinzipats einnimmt. Schließlich soll untersucht werden, ob ähnliche Ansätze auch andernorts in der kaiserzeitlichen Literatur zu greifen sind.