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Freundschaft und Patronage

Eine Bilanz nach neun Jahren Erforschung sozialer Nahbeziehungen in historischer, anthropologischer und kulturvergleichender Perspektive.


Am Freiburger DFG-Graduiertenkolleg Freunde, Gönner, Getreue – Praxis und Semantik von Freundschaft und Patronage in historischer, anthropologischer und kulturvergleichender Perspektive werden seit 2006 persönliche, den Familien- und Verwandtschaftskontext überschreitende Nahbeziehungen in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen erforscht. Die Arbeit des Kollegs wird nun im Frühsommer 2015 beendet werden. Anlässlich dieses Abschlusses wollen wir Bilanz ziehen. Aktuelle und ehemalige KollegiatInnen, GastwissenschaftlerInnen, ProfessorInnen und Gäste sollen Gelegenheit haben, die Erforschung von Freundschaft und Patronage an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zu rekapitulieren und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Forschungsfeldes auszuleuchten.


Das Graduiertenkolleg ist mit dem Anspruch angetreten, die beiden Themenkomplexe Freundschaft und Patronage miteinander zu verbinden, um auf diese Weise eine Deutung zu vermeiden, die das moderne Ideal einer streng symmetrischen, von utilitaristischen Erwägungen freien Freundschaftsbeziehung verabsolutiert. Gleichzeitig sollte die Perspektive korrigiert werden, die Patronage nur unter instrumentellen Gesichtspunkten sieht. Besondere Aufmerksamkeit schenkte das Graduiertenkolleg den Ritualen und Symbolen von Freundschaftsbeziehungen, der Selbstbeschreibung der Akteure und den spezifischen Interaktionsformen dieser Beziehungen sowie affektiven Aspekten. Neben der Klärung der Begrifflichkeiten standen die historische Entwicklung und die Konjunkturen der Freundschaft, die Semantik und symbolische Praxis von Freundschaft und Patronage sowie deren Zusammenhang mit einer spezifischen politischen Kultur auf dem Forschungsprogramm, das auch interkulturelle und geschlechtergeschichtliche Aspekte der Freundschaft berücksichtigte

Auf der Tagung sollen die Fragen und Ergebnisse des Graduiertenkollegs im Rahmen einer Podiumsdiskussion über die Entwicklung der Freundschaftsforschung und in drei Sektionen zu den Themenblöcken „Affektive Gemeinschaften“, „Politiken der Gemeinschaft“ und „Typologien sozialer Nahbeziehungen“ erörtert werden.
 


Sektion 1: Affektive Gemeinschaften.


Der Titel der Sektion verweist darauf, dass Affekte in einem engen Zusammenhang mit der Gemeinschaft stehen, deren Form – so die These – zum Großteil durch ein affektives Erleben der Beteiligten bedingt ist. In dieser Sektion wollen wir uns den Affekten als gemeinschaftsformendes Element zuwenden und den Fokus auf die Prozesshaftigkeit und Temporalität von Gemeinschaften lenken.

In einer traditionellen Denkweise von „Gemeinschaft“ stoßen wir meist auf die Vorstellung, sie sei durch eine Homogenität gestiftet, die ihre Mitglieder in einer dauerhaft empfundenen Zusammengehörigkeit – quasi „natürlich“ – verbinde. Tatsächlich scheint eine solche Verbindung sich jedoch weniger „von selbst“ einzustellen. Macht- und Herrschaftsmechanismen von Gesellschaften – historischen sowie zeitgenössischen – zeichnen sich häufig durch Praktiken aus, die dazu dienen sollen, eine solche Gemeinschaft „herzustellen“ oder zu „stärken“. Sie zielen dabei auch auf die affektive Ebene ab, indem sie versuchen, ein möglichst homogenes Affiziert-sein der Gemeinschaftsmitglieder zu erzielen.
 
In neueren geisteswissenschaftlichen Ansätzen finden sich jedoch auch Entwürfe, die gerade das Heterogene in Gemeinschaft(en) betonen. Mitunter wird hier auch der Gemeinschaftsbegriff als Terminus eines tieferen und festeren Verbunds redundant. Mit Autoren wie Gilles Deleuze, Bruno Latour und Jean-Luc Nancy etwa kann man Gemeinschaften auch als Gebilde verstehen, die nie durch eine tiefere Gleichartigkeit verbunden sind, sondern sich vielmehr stets im Wandel befinden und zu jeder Zeit kontingent beschaffen und unterschiedlich affiziert sind. Gerade in dieser absoluten Heterogenität lässt sich ein Potential für notwendige gesellschaftliche Wandel sehen. Unter diesem Aspekt wäre die Frage nicht mehr, wie man das Affektive in stete Bahnen lenken sollte, um spezifisch geartete Gemeinschaften zu fördern, sondern wie man vor-bewusste affektive Bewegungen „anzapfen“ kann, um Wandlungsprozesse in Gemeinschaften zu unterstützen.

Aufbauend auf dem Spannungsverhältnis dieser Ansätze lädt die Sektion zu einer Beschäftigung mit einer Vielzahl von Fragen ein: Welche historischen Entwicklungen können wir im Umgang mit dem Affektiven in Gemeinschaften und seinem Wert für Gemeinschaften beobachten? Wie ist die Kontrolle und Konditionierung von Affekten im Sinne der „Gemeinschaftsförderung“ zu bewerten? – Und was geschieht eigentlich mit dem Gemeinschaftsbegriff an sich angesichts der Kurzlebigkeit von Affekten? In der Erörterung dieser und weiterer Fragen erhofft sich die Sektion eine produktive, gegenseitige Affizierung.
 
 

Sektion 2: Politiken der Gemeinschaft

 

Welche Praktiken und Semantiken können „Politiken der Gemeinschaft“ hervorbringen? Dieser Frage will die Sektion nachgehen, indem sie aktuelle wissenschaftliche Debatten z. B. über das von französischen WissenschaftlerInnen und Intellektuellen verfasste Manifeste Convivialiste zum Anlass nimmt. Die Convivialisten sind Teil einer Bewegung, die auf das Gemeinwohl, auf eine Gemeinschaft der Sorge für den anderen zielt („commons“). Dies ist nicht das einzige aktuelle Projekt, in dem die Begriffe „Politik“ und „Gemeinschaft“ sowie deren Interdependenzen vor dem Hintergrund neuartiger Formen sozialer Gemeinschaft – wie sozialen Bewegungen, Web 2.0 oder strategischen Essentialismen – ins Zentrum der Betrachtung rücken.

So wie „Politik“ Herrschaft, Kampf um Macht, aber auch Freiheit, Gespräch oder utopische Kritik bedeuten kann, kann „Gemeinschaft“ total eine Weltgemeinschaft, relational eine Netzgemeinschaft oder partikular personale Beziehungen meinen, die eine Art Gemeinschaft durch Negation der eigentlichen Gemeinschaft sind. Alle Formen von Gemeinschaft stellen dabei erneut die Frage nach den Möglichkeiten einer nicht-normativen Analyse von Gemeinschaft: Welche Politiken und Normen gehen verschiedene Auffassungen von Gemeinschaft voraus? Was sagen die Alltagspraktiken, die künstlerische und aktivistische Praxis über Gemeinschaften aus und wie verhalten sie sich zur Norm? Welche politischen Implikationen birgt ein Sprechen von „Gemeinschaft“? Folgen wir Jacques Derridas Einsicht, dass die Gemeinschaft vor allem ausschließt, alleine weil in der Gemeinschaft nur das Ähnliche geliebt wird, ihre Mitglieder einander gleichen sollen? Verweist dessen Idee der Gastfreundschaft auf eine alternative Form von Gemeinschaft? Wie können wir mit Semantiken und Praktiken von Gemeinschaft umgehen, die spezifische, auch repressive politische Interessen verfolgen, wie die „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus? Ist Jean-Luc Nancys Denken eine Alternative, um Pluralität innerhalb von Gemeinschaften zu stimulieren, da es sich davon abkehrt, in der Gemeinschaft eine Verkörperung individueller Machtansprüche zu sehen. Oder kann die empirische Forschung mittels eines relationalen Zuganges, wie es Daniel Miller vorschlägt, die Komplexität von Menschen und Praktiken jenseits von Abstraktionen und vorschnellen Kategorisierungen erfassen, mit entsprechenden politischen Implikationen?

Diesen Spannungen von Mikro- und Makroebenen, Analysen und Normen, Beziehungen und Verhältnissen, von Politik und Gemeinschaft will sich diese Sektion aus verschiedenen Perspektiven widmen.
 
 
Sektion 3: Typologien sozialer Beziehungen.
 
 

Das Graduiertenkolleg „Freunde, Gönner, Getreue“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Konstruktionen verschiedener Typen sozialer Beziehungen zu untersuchen. Doch was machen wir eigentlich genau, wenn wir derartige Typen oder gar Typologien konstruieren? Es geht nicht darum, überhistorische und kontextunabhängige Idealtypen wiederzufinden oder aufzudecken. Die Konstruktion eines Typus dient vielmehr dazu, eine singuläre Beziehung oder ein singuläres Beziehungsgeflecht zu klassifizieren. Auf diese Weise werden soziale Beziehungen vergleichbar, denn was man zu einem Zeitpunkt der Geschichte oder in einer Kultur einen Freund nannte bzw. nennt, entspricht nicht unweigerlich dem, was man in einem anderen Moment darunter versteht. Erst die übergeordnete Typologie macht soziale Beziehungen vergleichbar.
 

Innerhalb der Arbeit des Kollegs nimmt die Untersuchung und Bestimmung von Nahbeziehungen einen großen Raum ein. Kann man eine Nahbeziehung von einer Fernbeziehung unterscheiden, und wenn ja, wie? Markiert diese Unterscheidung den Übergang vom Typus des Freundes zu dem des Gönners? Oder bilden beide Typen einen graduellen Unterschied innerhalb der Klasse der Nahbeziehungen? Was bestimmt dann die Nahbeziehung: Ist es eine affektive Art der Beziehung oder gar eine Affektion, bei der sich beide Elemente der Beziehung verändern? Schließlich stellt sich die Frage, inwiefern sich der Begriff der Beziehung wandelt, wenn man ihn auf Gruppen anwendet? Diese Fragen zu stellen, zu diskutieren und zu ergänzen, und schließlich durch die eigenen Arbeiten zu beantworten, ist das Ziel dieses Panels, um so einige Ansätze zu Typen und Typologien sozialer Beziehungen zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen.

 

Die Tagungsbeschreibung als PDF erhalten Sie hier.

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