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Guiding Idea (German)

Persönliche, den Familien- und Verwandtschaftskontext überschreitende Nahbeziehungen stellen ein offensichtlich universales, in allen Gesellschaften und Kulturen in unterschiedlicher Weise anzutreffendes Phänomen dar.

   Während das Problem der Patronage jedoch zumindest für bestimmte historische Epochen (nicht zuletzt in Freiburg selbst) in den letzten Jahren immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden hat, gilt dies für das Phänomen der Freundschaft dezidiert nicht. Aus soziologischer Perspektive ist noch jüngst konstatiert worden: „Friendship has only a small place in sociology, and one which is marginal to the issues of power, stratification etc“. Das dem Thema Freundschaft verwandte Themenfeld des Vertrauens ist von sozialwissenschaftlicher Seite stärker erforscht worden, jedoch ohne spezifische Konzentration auf die Bedeutung des Vertrauens in persönlichen Nahbeziehungen. In der historischen Forschung ist Freundschaft noch am ehesten im Kontext von Klientelbeziehungen thematisiert worden, jedoch oft unter starker Betonung der rein instrumentellen Dimensionen der (asymmetrischen) Freundschaft. Die affektive Seite sowie die Rituale und Symbole von Freundschaftsbeziehungen, der gesamte Bereich der Selbstbeschreibung der Akteure und die spezifischen Interaktionsformen dieser Beziehungen sind für viele historischen Großepochen hingegen kaum oder nur ansatzweise untersucht.

   Das geplante Graduiertenkolleg will die beiden Themenkomplexe Freundschaft und Patronage bewusst miteinander verbinden. Auf diese Weise soll eine Deutung vermieden werden, die das moderne Ideal einer streng symmetrischen, von utilitaristischen Erwägungen freien Freund­schaftsbeziehung verabsolutiert. Gleichzeitig will das Kolleg eine Perspektive korrigieren, die Patronage nur unter instrumentellen Gesichtspunkten sieht und die legitimierende Semantik von Klientelbeziehungen fälschlich ausschließlich als Verschleierung deutet. Freundschaft ebenso wie Klientelbeziehungen stellen für die Beteiligten, für Freunde ebenso wie für „Gönner“ (Patrone) und „Getreue“ (Klienten), in der Tat ein „soziales Kapital“ dar. Dieses ist jedoch keineswegs immer oder gar vollständig in ökonomische Chancen oder in Macht und Einfluss umsetzbar und darf deshalb auch nicht ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Vielmehr hat es namentlich in vormodernen Gesellschaften seine Bedeutung auch darin, dass es den Status der Beteiligten festigt und ihre soziale Identität mit den damit verbundenen Ansprüchen auf Prestige und Ehre bestätigt.

   Ähnliches gilt mutatis mutandis auch für funktional differenzierte Gesellschaften der Gegenwart. Heute scheinen Patronage und Freundschaft stärker auseinander getreten zu sein als in der Vergangenheit. Dass persönliche Freundschaft stärker als früher als zweckfreie Bindung erscheint, kann man als Chance begreifen. Denn in einer Zeit, in der der Beruf dem Individuum oft keine klare Identität mehr zu geben vermag, wird dem Einzelnen oder der Einzelnen mehr denn je durch die Anerkennung, die ihnen in Freundschaftsbeziehungen zuteil wird, ein Selbstwertgefühl gegeben, das in anderen Bereichen keine Bestätigung mehr finden kann - eine Entwicklung, die zum Teil vielleicht auch die Grenzen zwischen spezifisch männlichen und weiblichen Formen der Freundschaft verwischt. Freilich steht dem der schon Anfang des 20. Jahrhunderts von Simmel formulierte skeptische Einwand gegenüber, dass die stärkere Ausdifferenzierung der Persönlichkeit des modernen Menschen in unterschiedliche soziale Rollen die „völlige Vertrautheit“ und, da diese die eigentliche Basis echter Freundschaft sei, die Freundschaft selbst erschwere. Der moderne Mensch, so Simmel, habe mutmaßlich „zu viel zu verbergen“, um etwa eine „Freundschaft im antiken Sinne“ entwickeln zu können.

   Patronage ist in vormodernen Gesellschaften nach dem Selbstverständnis der Akteure oft eine Sonderform der (asymmetrischen) Freundschaft. In modernen demokratischen Gesellschaften mit bürokratischer Verwaltung gilt sie im öffentlichen Leben hingegen meist als grundsätzlich illegitim. Dass Patronage deshalb jedoch keineswegs aus Politik und Verwaltung verschwunden ist, haben die Diskussionen der vergangenen Jahre über „Klüngel“ und politische Gefälligkeiten in der Parteiendemokratie einmal mehr schlagend gezeigt. Patronage, so wurde noch vor kurzem konstatiert, vermag „über kumulierte Mitgliedschaften, Ämter und Rollen formal etablierte Grenzen zwischen verschiedenen Institutionen bzw. Organisationen kurzzuschließen“. Systemtheoretisch kann man in diesem Kontext „von potentiell als illegitim empfundenen Formen der strukturellen Koppelung funktional ausdifferenzierter Teil- bzw. Subsysteme“ sprechen. Allerdings ließe sich auch die Ansicht vertreten, dass die Koppelung unterschiedlicher administrativer Funktionssysteme über eng verwobene Netzwerke von Personen Politik und politische Entscheidungen überhaupt erst durchsetzbar macht.

Hier setzt aus ethnologischer Perspektive der Vergleich mit anderen „Modernitäten“ in sogenannten Entwicklungsländern an, in denen solchen Netzwerken überdies immense Bedeutung nicht nur im Kontext von „Korruption“ zukommt, sondern auch hinsichtlich gegenseitiger Hilfe in ökonomischen Krisensituationen.

In jedem Fall ist Patronage kein Phänomen der Vergangenheit: In dem Maße, in dem die modernen Industriegesellschaften auch im Zuge der unaufhaltsamen Erosion der sozialen Versorgungssysteme zunehmend wieder zu Mangelgesellschaften werden, wird ihre Bedeutung mutmaßlich sogar noch zunehmen. Neu ist freilich im Vergleich zu älteren Epochen, dass ihr Ethos und ihre Normen keine öffentliche Anerkennung in halb-offiziellen Ritualen und einer eigenen Symbolsprache mehr finden.

 


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